„Workaround for Joe’s Problem“

Heute hörte ich von einem Team das jeden Tag eine .csv Datei mittels FTP herunterlädt, drei Zeilen löscht, und sie dann manuell woanders hin hochlädt.

Wieso? Weil eines Tages diese drei Zeilen nicht richtig in eine Datenbank geladen werden konnten, und ihr Workaround war, diese drei Zeilen eben zu löschen.

Und das machen sie nun Tag für Tag… seit 2009.

Teils natürlich auch einfach deshalb, weil sie in einer regulierten Industrie arbeiten, und dieser Prozeß wurde irgendwann mal dokumentiert und somit verpflichtend.

(Er ist dokumentiert als „workaround für Joe’s Problem“. Keiner kann sich erinnern, wer dieser Joe eigentlich war.)

Diese Geschichte ist einerseits amüsant, andererseits aber auch lehrreich.

Ähnliche Vorgänge finden sich in praktisch jeder Organisation. Seltsame Prozesse, die irgendwann von irgendwem eingeführt wurden, und mittlerweile selbst ein Eigenleben entwickelt haben.

Und unser aller Reflex ist vermutlich, kurzerhand den beschriebenen Prozess zu automatisieren. Das ist sicherlich eine gute Idee: die Qualität wird steigen (weil keiner mal versehentlich was verkehrt macht), die Mitarbeiter Zeit und mentale Kapazität zurückgewinnen für wichtigere, wertschöpfendere Dinge.

Andererseits ist das aber vielleicht gar nicht so eine tolle Lösung: einen etwas merkwürdigen Prozeß haben wir jetzt auch noch verewigt!

In der Tat frage ich mich, ob das dem Workaround zugrundeliegende Problem nicht in den letzten 12 Jahren irgendwann den Weg des Dodo ging. Und falls es noch existiert: ob es nicht eine gelungenere Möglichkeit gibt, diesem Problem zu begegnen, z.B. durch geeignete Validierung in der Datenbank, oder was einem auch sonst so einfällt.

Diese Geschichte weist neben der unmittelbaren Moral (automatisiere es!) aber noch eine zweite, etwas indirektere auf: auch eigenwillige Lösungen sind stets Reaktionen auf reale (oder als real empfundene) Probleme, entwickeln dann aber ein Eigenleben abseits dieser Probleme. Und können somit lange weiterexistieren, nachdem das Problem aufhörte, eines zu sein.

Insofern ist der erste Schritt einer Verbesserung durch Automatisierung ein ganz anderer: sich zu überlegen, ob das Problem weiterhin besteht und ob es weiterhin so gelöst werden muß.

Automation kann eben nicht nur segensreich zur Verringerung der Arbeitslast beitragen, sondern manchmal auch Ungünstiges erst recht zementieren.